Heinrich von Stephan, Generalpostmeister und Erneuerer der Deutschen Post, hatte schon damals richtig erkannt, daß das Deutsche Reich mit dem Postwesen wesentliche Staatsaufgaben zu erfüllen habe, während liberale Kreise die Ansicht vertraten, daß das Monopol für die Beförderung von Waren, Briefen und Geld den Staat zum -privilegierten Fuhrmann- mache.
Nach dem preußischen Postgesetz vom 5.Juni 1852 fiel die Stadtbriefbestellung nicht unter den Postzwang. Unternehmungslustige Geschäftsleute, aber auch kaufmännische Verbände, sahen in der Errichtung von privaten Stadtposten eine Möglichkeit, der Staatspost durch billigere Beförderung Konkurrenz zu machen und dabei dennoch Überschüsse zu erzielen. Hamburger Kaufleute riefen erstmalig 1861 eine solche Ortspost ins Leben, die sich schnell großer Beliebtheit bzw. Zuspruchs erfreute. Ihr Erfolg ließ andere Städte nicht ruhen, und im Laufe der Jahre waren weit über einhundert Privatpost-Beförderungsanstalten eröffnet worden, von denen jedoch eine Reihe bald wieder schließen mußte, da sich der erhoffte Gewinn nicht einstellte.
Das nebeneinander der Staatspost und Privatpost, das von 1861-1900 bei uns bestand, hat in dieser Zeit sehr viel Staub aufgewirbelt. Ein Schriftsteller prägte damals den treffenden Ausdruck dafür, indem er von einer - Postanarchie - sprach.
Neben gut fundierten und streng reellen Lokalpostunternehmen gab es auch Inhaber von Privatposten, die zwar Marken drucken und verkaufen liessen, die Eröffnung eines Betriebes aber dann vergaßen. Andere umgingen die gesetzlichen Vorschriften, indem Sie für fremde Städte bestmmte Postsachen sammelten, geschlossen mit der Staatspost dorthin leiteten und von der privaten Ortspost austragen ließen.
Mit dem 1.April 1900 wurde der private Postbetrieb im ganz Deutschland eingestellt und die Einrichtungen sowie ein großer Teil des Personals wurden von der Deutschen Reichspost übernommen. Welchen Umfang einige dieser Lokalposten angenommen hatten, geht daraus hervor, daß die Berliner Packetfahrt-Gesellschaft, deren Einrichtungen mit Recht gerühmt werden, allein einen Jahresverkehr von 70 Millionen Briefen hatte.